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Silke Fokken
Liebe Leserin, lieber Leser.
2025 beginnt mit starken Debatten über Schule und Lernen. Es geht um das große Ganze – das deutsche Schulsystem. Und um die Frage: Sollten wir Smartphones an Schulen abschaffen?
Der Januar ist kein Monat wie jeder andere. In diesen Tagen werden alle möglichen guten Vorsätze aufgestellt, die das eine oder andere persönliche Laster betreffen. Interessant wäre, wie viele Erwachsene sich wohl vorgenommen haben, weniger am Smartphone zu daddeln – und damit den Kindern und Jugendlichen ein Vorbild zu sein. In einer Umfrage kurz vor Weihnachten räumten immerhin
mehr als 40 Prozent der erwachsenen Teilnehmenden selbstkritisch ein, ihre Handyzeit sei »zu lang« oder gar »viel zu lang«.
Die Jüngeren sind schon einen Schritt weiter: Mehr als die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen will
laut einer weiteren Umfrage das Handy künftig öfter weglegen, so lautet der gute Vorsatz. Ob er umgesetzt wird? Die Politik möchte auf jeden Fall gern nachhelfen.
Regeln für die Smartphone-Nutzung von Kindern und Jugendlichen an Schulen stehen im neuen Jahr ganz oben auf der Agenda. Schon über den Jahreswechsel hinweg hat das Thema Fahrt aufgenommen. Eine Elterninitiative aus Hamburg kämpft schon lange dafür, dass Schulen bis einschließlich zur neunten Klasse »smartphonefreie Zonen« werden
(Das ist los).
Die Elterninitiative plädiert zudem dafür, dass Kinder möglichst erst ab dem 14. Geburtstag ein Smartphone bekommen. Wie denken Sie darüber? Wie erleben Sie die Smartphone-Nutzung von Kindern? Welche Regeln sollten an Schulen gelten? Schreiben Sie an bildung@spiegel.de. Sollten Sie eine Schule mit einem insgesamt besonders überzeugenden pädagogischen Konzept kennen, freuen wir uns ebenfalls über Hinweise. Mein guter Vorsatz für 2025 lautet: mehr über positive Beispiele berichten.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für das neue Jahr!
Schreiben Sie uns gerne, auch mit weiteren Themenanregungen – an
bildung@spiegel.de .
Herzlich, Silke Fokken für das SPIEGEL-Bildungsteam
Das ist los - Streit über...
1. Smartphones
Schüler am Smartphone (Symbolbild): Initiative will vor »digitalem Zucker« schützen
Phillip Waterman / Westend61 / IMAGO
Die Debatte über Smartphones an Schulen treibt die Politik ebenso wie Lehrerkollegien und Eltern um. Thüringens Bildungsminister Christian Tischner (CDU), gerade frisch im Amt, hat sich für eine Art digitale Vollbremsung ausgesprochen. Er plädiert –
nach dem Vorbild Australiens – für ein Social-Media-Verbot unter 16 Jahren. Außerdem möchte er Handys weitgehend aus Thüringens Grundschulen verbannen. Tischners Vorgänger Helmut Holter (Linke) hingegen hält den
Vorstoß für »lebensfremd«.
Die bildungspolitische Sprecherin der Linke-Landtagsfraktion, Ulrike Grosse-Röthig, wirft Tischner »Schaufensterpolitik« vor. Der Minister solle sich lieber um wichtigere Themen kümmern. »Da steht aus Sicht der Linken die Unterrichtsabsicherung ganz oben.« 2025 wird man nicht nur in Thüringen weiter über das Thema streiten. Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) gehört zum »Team Verbot« und hat zuletzt eine Debatte über Smartphone-Regeln in der Kultusministerkonferenz angestoßen.
Bei Verena Holler, Juristin und Mutter von drei Kindern in Hamburg, rennt Schwarz damit offene Türen ein. Holler, Mitgründerin der Elterninititiative »Smarter Start ab 14« wünscht sich die Schule als einen Ort, der Kinder zumindest einige Stunden pro Tag vor »digitalem Zucker« wie TikTok und YouTube schützt. Was Holler antreibt, erklärt sieim Interview. (S+)
2. Gymnasien
Bildungsforscher John Hattie: »Schule ist nicht für die Eltern da, sondern für die Kinder«
Jan Philip Welchering / DER SPIEGEL
Kleinere Klassen allein bringen wenig, beim Lernen kommt es vor allem auf den Lehrer an: Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie provoziert seit Jahren mit einschlägigen Thesen zu Schule und Lernen. Im SPIEGEL-Gespräch rechnet er mit dem gegliederten deutschen Bildungssystem ab. »Ich kann nicht verstehen, wie man so viel Talent vergeuden kann«, sagt Hattie, der am liebsten das Gymnasium abschaffen würde. Was genau er daran für so extrem ungerecht – und gesellschaftlich unklug – hält, lesen Sie hier. (S+)
3. Provinzprämien
Um der Personalnot an vielen Schulen entgegenzuwirken, lockt Sachsens Kultusministerium angehende Lehrkräfte mit einem Gehaltsplus von 70 Prozent in ländliche Regionen. Die Maßnahme scheint zu wirken, wie mein Kollege Armin Himmelrath recherchiert hat. Manche älteren Lehrkräfte betrachten solche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie den »Anwärtersonderzuschlag« demnach allerdings mit Skepsis, und zwar aus einem historischen Grund. Warum das so ist,lesen Sie hier (S+).
4. Elterntaxis
In Bayern hat die Polizei seit Schuljahresbeginn hunderte Strafzettel an Eltern verteilt
, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule gefahren und sich dabei nicht an Regeln gehalten haben. Über sogenannte Elterntaxis regen sich Menschen immer wieder auf. Unter den Tisch fällt hingegen oft, dass viele Kinder eine gefühlte Ewigkeit mit dem Bus zur Schule fahren müssen. Wir möchten darüber berichten und suchen Deutschlands längsten Schulweg. Bitte schreiben Sie an bildung@spiegel.de.
Und sonst noch?
Eltern können durchaus beeinflussen, wie viel Spaß Kinder am Lernen haben. Meine Kollegin Swantje Unterberg hat unter anderem recherchiert, warum es helfen kann, das Kind die Hausaufgaben verbrennen zu lassen. Ihren lesenswerten Text finden Siehier (S+).
Debatte der Woche
»Auf Basis einer Beziehung kann bildungsmäßig ganz schön was gehen«
Blick auf den Rütli-Campus (Symbolbild): »Wir konnten ›relaten'«
Maja Hitij / dpa
Der Lehrer Tobias Nolte hat mehr als zehn Jahre an der Neuköllner Rütli-Schule gearbeitet, die 2006 wegen eines Brandbriefs für Schlagzeilen sorgte. Vor rund fünf Jahren gründete er zusammen mit Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften aus Neukölln die Initiative »Related«, die insbesondere angehenden Lehrkräften in Workshops einen neuen Blick auf Schulen in sozial benachteiligten Milieus vermitteln will.
SPIEGEL: Herr Nolte, was ist das Ziel der Initiative »Related«?
Tobias Nolte:
Etwas überspitzt formuliert gehen wir als Gesellschaft bisher davon aus, dass alle Kinder morgens mit dem Taxi aus dem Wellnesshotel abgeholt und zum Unterricht gebracht werden. Eine solche sorgenfreie Ausgangslage für Bildung ist aber nicht die Norm, stattdessen müssen viele Schülerinnen und Schüler etliche Hürden überwinden, um zur Schule zu kommen und dort erfolgreich zu lernen.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
Nolte:
Kinder erleben zu Hause Stress, Existenznöte, Trennung, vielleicht auch Gewalt. Einige kümmern sich um jüngere Geschwister, sehr viele haben keinen ruhigen Ort zum Lernen. Eltern können selbst kaum beim Lernen helfen und bieten wenig Anregungen. Einige Kinder kommen kaum aus ihrem Kiez heraus. Das alles hat massiven Einfluss auf die Bildungsbiografien von Kindern und Jugendlichen. Wir wollen schon bei Lehramtsstudierenden ein Bewusstsein dafür schaffen und verdeutlichen, wie komplex und facettenreich Bildungsungerechtigkeit ist.
SPIEGEL: Gibt es dieses Bewusstsein denn nicht?
Nolte:
Die Lebenswelten vieler Menschen, die Lehramt studieren, haben mit den Herausforderungen, die Jugendliche in sogenannten Brennpunktschulen haben, meist sehr wenig zu tun. Viele Lehramtsstudierende hatten viele Bildungsprivilegien, sie wurden umfangreich von ihren Eltern gefördert. Diese Studierenden treffen später als Lehrkräfte auf Schülerinnen und Schüler, die all diese Privilegien nichthaben.Und sie sind von Beginn an in der Position, diese Kinder und Jugendlichen zu bewerten und zu benoten. Dadurch kommt es zu Problemen.
SPIEGEL: Sie sprechen aus Erfahrung?
Nolte:
Als ich 2013 als Lehrer an die Rütli-Schule kam, war ich bis dahin immer auf gymnasialen Pfaden unterwegs gewesen, hatte keine Ahnung von Neukölln, aber dafür diffuse Vorurteile. Ich hatte die Schülerinnen und Schüler in Neukölln als relativ homogene Gruppe im Kopf: muslimisch, von patriarchalen Denkmustern geprägt, mit Gewalt konfrontiert. Das stimmt so natürlich nicht, sondern die Kinder wachsen mit verschiedensten Glaubens- und Wertvorstellungen auf. Gleichzeitig hatte ich aufgrund meiner eigenen Schulerfahrung im Kern die Vorstellung: Ich muss als Lehrer dafür sorgen, dass mein Fachunterricht läuft – und fertig.
SPIEGEL: Das hat nicht funktioniert?
Nolte:
Ich hatte anfangs starke Frustrationserlebnisse, unter anderem weil ich davon ausgegangen bin, dass sich die Schülerinnen und Schüler natürlich bereitwillig auf meinen Unterricht und das Lernen einlassen. Das war nicht der Fall. Wenn man nur mit dem »Bildungsblick« an die Jugendlichen herantritt, der häufig bildungsbürgerlich unterfüttert ist, dringt man nicht zu ihnen durch.
SPIEGEL: Warum?
Nolte:
Die Welten sind einfach zu entkoppelt. Nach meiner Erfahrung war es für die Schülerinnen und Schüler total wichtig, erst mal eine Beziehung zu mir herzustellen, sicherzugehen, dass ich echtes Interesse an ihnen habe und mich wirklich auf ihre Lebenswelt einlasse. Als ich das getan habe, konnten sich viele plötzlich sehr gut aufs Lernen einlassen. Auf Basis einer Beziehung kann also bildungsmäßig ganz schön was gehen. Dafür möchten wir mit »Related« ein Bewusstsein schaffen.
SPIEGEL: Der Name »Related« ist also im Sinne von »relaten« gemeint, sich gegenseitig verstehen, eine Beziehung haben?
Nolte:
: Genau, stattdessen war die Debatte um sogenannte Brennpunktschulen lange stark davon bestimmt, dass Lehrkräfte Jugendlichen mit einer gewissen Härte begegnen sollten. Man müsse eher autoritär auftreten und zeigen, wo es langgeht. Das ist aus meiner Sicht der völlig falsche Ansatz, der jedoch in Wellenbewegungen immer wieder propagiert wird, wenn ich etwa an die jüngste Berichterstattung über den Brandbrief der Berliner Friedrich-Bergius-Schule (S+) denke.
SPIEGEL: Was meinen Sie?
Nolte: Ich kenne die Zustände an der Schule nicht persönlich und möchte sie daher auch nicht bewerten. In einigen Medienberichten war der Tenor aber sehr klar, dass die Kinder das Problem seien, und wenn die Lehrkräfte nur mehr Druck ausübten, herrsche wieder Ordnung. Nach meiner Erfahrung funktioniert das überhaupt nicht. Im Zweifel verweigern sich Schüler so einer »klaren Kante« und erscheinen erst gar nicht etwa zu dem in der besagten Schule wohl verhängten Früh- oder Fegedienst. Ich erlebe, dass ein gutes Klima stark davon abhängt, ob sich Kinder mit ihren Nöten in der Schule gesehen und willkommen fühlen.
»Lehrkräfte müssen eine aufrichtige Beziehung zu den Jugendlichen eingehen, echtes Interesse zeigen«
Tobias Nolte, Lehrer
SPIEGEL: Mit dem Startchancen-Programm sollen Schulen in sozial herausfordernden Lagen gezielt gefördert werden. Damit hat die Politik doch erkannt, dass bestimmte Schülerinnen und Schüler besser unterstützt werden müssen, oder?
Nolte:
Es ist ein richtiger Schritt. Aber darüber hinaus benötigen wir eine intellektuelle Bewegung, um die Haltung vieler Lehrkräfte zu verändern. Das beginnt mit einer kritischen Selbstreflexion über eigene Bildungsprivilegien und Normvorstellungen, wie Schule angeblich zu sein hat. Wir müssen Schulen viel stärker auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ausrichten. Dafür benötigen Lehrkräfte Zeit, deshalb sind Gelder hilfreich. Aber Geld allein reicht nicht, sondern Lehrkräfte müssen eine aufrichtige Beziehung zu den Jugendlichen eingehen – und auch anerkennen, was viele Kinder leisten.
SPIEGEL: Was meinen Sie?
Nolte:
Obwohl viele Kinder stark belastet sind, wie eingangs beschrieben, zeigen sie in der Schule Leistung. Ich finde deshalb wichtig, dass Lehrkräfte angesichts der Lebensumstände vieler Kinder nicht in Mitleid verfallen, sondern denken: Alter Schwede, ihr bekommt aber ganz schön viel auf die Kette!
SPIEGEL Ed
Freie Termine für medienpädagogische Schul-Workshops
Wie arbeiten Journalistinnen und Journalisten? Und welche Verantwortung haben Medien? Bei unserer Bildungsinitiative SPIEGEL Ed finden Lehrkräfte, neben Unterrichtsmaterialien, auch medienpädagogische Schul-Workshops ab Klasse 9, die gemeinsam mit jungen Medien-Fellows der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa entstanden sind. Haben wir Ihr Interesse geweckt?
Hier geht’s zu unseren Workshop-Angeboten.
Ideen, Anregungen, Feedback? Wir freuen uns über Post an bildung@spiegel.de.
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