Im Browser lesen
SPIEGEL Klimabericht
Das Wichtigste zum größten Thema unserer Zeit
Freitag, 27. Juni 2025
Susanne Götze

Liebe Leserin, lieber Leser.

Schwächelnde Konjunktur, aktuelle Krisen, ambivalente Ansagen der neuen Regierung: Klimaschutz ist auf der To-do-Liste nach unten gerutscht. Das könnte den notwendigen Umbau um Jahre verzögern.

ANZEIGE
desktop mobile timer trk_px

Klimaschutz, war da was? Es gibt wohl wenige Themen, die so akut sind und gleichzeitig so wenig beachtet werden. Ja, wenden etwa Medienschaffende ein, es gibt nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne und zudem eine Nachrichtenhierarchie. Das Problem haben alle Themengebiete, egal ob es um den Ukrainekrieg oder den Hunger in Somalia geht. Dauert eine Krise zu lange, nutzt sie sich ab: Psychologen sprechen von »Desensibilisierung«, wenn Menschen durch wiederholten Kontakt mit schockierenden oder belastenden Ereignissen emotional abstumpfen und weniger stark reagieren. Das passiert gerade mit der Klimakrise – auf allen Ebenen. Und es nützt jenen, die das Thema ohnehin für »überbetont« halten, wie etwa die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU).

Die Warnungen der Wissenschaft sind seit Jahrzehnten recht eindeutig (die Welt erwärmt sich und das bedroht Wohlstand und Menschenleben). Nicht zuletzt aufgrund aggressiver Desinformationskampagnen kam die Dringlichkeit bei vielen nicht an. Das änderte sich ab 2015: Damals gab es endlich ein Weltklimaabkommen, ein paar Jahre später zogen die Aktivisten von Fridays for Future jede Woche mit Massendemos durch deutsche Städte. Dann kam Corona, der Ukrainekrieg, das »Heizungsgesetz« (S+) , der Nahostkonflikt und 2025 eine konservativ geführte Regierung unter Friedrich Merz, die das Thema vollends entthront.

Gleichzeitig war vergangenes Jahr das heißeste seit Messbeginn, und laut Klimaforschern hat die Menschheit das Klima so stark verändert, dass sie in »unerforschte Gebiete« vordringt. So ist die atmosphärische Kohlendioxidkonzentration auf dem höchsten Stand der vergangenen 800.000 Jahre und die Folgen wie der Anstieg des Meeresspiegels und die Erwärmung der Ozeane könnten über Hunderte Jahre unumkehrbar sein. Wem das nicht reicht: Deutschland steht diesen Sommer wieder vor einer Dürre, eine jener Naturkatastrophen, die mit dem Klimawandel zunehmen werden. Es betrifft also auch die deutschen Vorgärten.

Trotzdem sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos aktuell nur noch etwas mehr als 40 Prozent der Bundesbürger dafür, mehr für den Klimaschutz zu tun. Damit sei die Bundesrepublik im weltweiten Vergleich auf den letzten Platz aller 32 befragten Länder gefallen, heißt es von Ipsos. Hierzulande ist die Klimakrise den Leuten demnach besonders egal. Auch andere Umfragen, etwa des Umweltbundesamtes, konstatieren ein abnehmendes Interesse. Dieser Zeitgeist spiegelt sich auch in einigen Entscheidungen der vergangenen Wochen wider.

Die neue gasfreundliche Bundesregierung

So beschloss das Kabinett diese Woche den ersten Haushaltsentwurf von Finanzminister Lars Klingbeil. Darin gibt es erstmals konkrete Zahlen, wie das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) anteilig im nächsten Jahr verteilt werden soll. Es handelt sich hier um einen schuldenfinanzierten Topf, der parallel zum Haushalt beschlossen wird.

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche: Arbeitete bis vor wenigen Monaten bei einem Gasnetzbetreiber

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche: Arbeitete bis vor wenigen Monaten bei einem Gasnetzbetreiber

ESDES.Pictures; Bernd Elmenthaler / Bernd Elmenthaler / IMAGO

Die Regierung will einige Posten in den Kernhaushalt überführen und gleichzeitig andere aus dem Kernhaushalt in den Schuldentopf verschieben. Experten sind sich einig: Bei den meisten Klimaprogrammen ändert sich wenig. Doch es gibt einen Aufreger, der leider zur Denke der neuen gasfreundlichen Regierung passt: Ein Drittel des zusätzlichen Geldes (insgesamt neun Milliarden Euro) gehen für die Gasspeicherumlage (3,4 Milliarden Euro) drauf. Diese wurde 2022 eingeführt, als es infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine darum ging, die Gasversorgung in Deutschland zu sichern.

Erdgas ist eindeutig ein fossiler Brennstoff – was hat er im Klimafonds zu suchen? Das fragen die Grünen, Umweltverbände und Fridays for Future. Für Finanzminister Lars Klingbeil ist es hingegen eine Unterstützung der Industrie in der Transformation. Und was sagt der neue Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD), seit Mai höchster Klimaschutzbeauftragter der Republik? Nichts. Er hält das Paket für »eine gute Nachricht für die Umwelt« und freut sich über zusätzliche Mittel für die Deutsche Bahn.

Geradezu »erdgasophil« zeigt sich die neue Bundesregierung auch bei der umstrittenen Gasförderung vor der Nordseeinsel Borkum . Dort geht es um ein Abkommen mit den Niederlanden, die vor der Küste Erdgas fördern wollen, das seit einigen Wochen auch von der Bundesregierung vorangetrieben werde, wie niedersächsische Politiker berichten. Die Eile sei ungewöhnlich, sagte etwa Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur. Dabei gebe es ausstehende Gerichtsverfahren, etwa von der Deutschen Umwelthilfe, die das Energieprojekt stoppen wollen. »Die neue Bundesregierung scheint die eigenen Klimaziele nicht ernst zu nehmen und verteilt damit Wahlgeschenke an fossile Gaskonzerne – am Rande unseres einzigartigen Weltnaturerbes«, schimpft Meyer.

Die Wirtschaft zieht sich zurück oder ist vorsichtig verhalten

Auch mehr und mehr Unternehmen ziehen sich aus Klimaschutzprojekten zurück oder torpedieren ihre Klimaziele. Das prominenteste Beispiel ist der Stahlriese ArcelorMittal, der nun doch keinen klimafreundlichen Stahl produzieren will, obwohl die Bundesregierung ihm schon knapp 1,3 Milliarden Euro zugesagt hatte. Das verkündete der zweitgrößte Stahlkonzern der Welt vor wenigen Tagen.

Stahlarbeiter in Eisenhüttenstadt bei ArcelorMittal: Energiewende abgeblasen

Stahlarbeiter in Eisenhüttenstadt bei ArcelorMittal: Energiewende abgeblasen

Patrick Pleul / dpa

ArcelorMittal wollte in Bremen und Brandenburg eine »grüne« Stahlproduktion aufbauen. Gemeint ist der Umstieg von Kohle als Energieträger auf Wasserstoff, der künftig aus erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Solarstrom gewonnen wird. Aber der Konzern erklärte: Selbst mit den milliardenschweren Subventionen sei das Vorhaben nicht wirtschaftlich.

Für die Politik ist das ein schlechtes Signal. Immerhin ist die Stahlbranche einer der größten CO₂-Produzenten in Deutschland. Damit der klimafreundliche Umbau gelingt, müssen die Unternehmen mitziehen und mehr investieren. Doch auch das passiert derzeit in vielen Branchen nur verhalten. Laut einer aktuellen Umfrage des Ifo-Instituts wollen Unternehmen in diesem Jahr durchschnittlich elf Prozent ihrer Gesamtinvestitionen für Klimaschutzmaßnahmen ausgeben – das sei ähnlich hoch wie in den Jahren zuvor. Doch gerade im Verkehr und bei der Wärmeversorgung brauche es mehr als nur ein Weiter-so, kommentiert das Institut. Eine Umfrage von Ernst & Young konstatiert hingegen, dass 17 Prozent der befragten Unternehmen ihre »Dekarbonisierungsmaßnahmen« zurückgestellt haben, in gut der Hälfte der Firmen werden die entsprechenden Investitionen im kommenden Jahr geringer ausfallen als ursprünglich geplant.

Die meisten Analysten sind sich einig: Die Rückschritte sind angesichts der desaströsen Rahmenbedingungen (schwächelnde Wirtschaft, Populismus à la Trump) noch moderat. Dennoch benötige es nicht weniger oder gleichbleibende, sondern viel mehr Anstrengungen, damit der Umbau bis zum Jahr 2045 – dann soll Deutschland klimaneutral sein – noch klappt.

Wie ambitioniert Unternehmen sind, hängt am Ende aber auch von der Politik ab. Wenn Erdgas hofiert wird, wozu in grünen Wasserstoff investieren? Wenn Ziele verwässert werden, warum sich beeilen? Wenn Klimaschutz nicht mehr Thema ist, warum sich engagieren?

Diese Dynamik kann man auch auf EU-Ebene beobachten: Eigentlich will die Kommission am nächsten Dienstag ein ehrgeiziges Klimaziel für 2040 vorschlagen. Erwartet wird bislang eine Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen um mindestens 90 Prozent im Vergleich zu 1990. Doch der französische Präsident Emmanuel Macron möchte das verhindern, wie am Mittwoch bekannt wurde. Sollte Macron Erfolg haben – und die deutsche Regierung ihm nicht widersprechen – könnte das ein weiterer fataler Schritt sein, die Klimawende zu verlangsamen.

Wenn Sie mögen, informieren wir Sie einmal in der Woche über das Wichtigste zur Klimakrise – Storys, Forschungsergebnisse und die neuesten Entwicklungen zum größten Thema unserer Zeit. Zum Newsletter-Abo kommen Sie hier.

Dürre in Niedersachsen: Auch Deutschland ist von der Klimakrise betroffen

Dürre in Niedersachsen: Auch Deutschland ist von der Klimakrise betroffen

diebildwerft / IMAGO

Die Themen der Woche

  • Initiative »Berlin autofrei«: Die Idee ist gut, doch die Hauptstadt noch nicht bereit (S+)
    Mit »Berlin autofrei« fordern Aktivisten, Autos aus dem gesamten Berliner S-Bahn-Ring zu verbannen. Ein mögliches Volksbegehren wurde gerade für zulässig erklärt. Auch wenn die Pläne zu weit gehen: Autos müssen Platz verlieren.

  • Wirtschaftsministerin Reiche im Bundestag: Timing ist alles (S+)
    Bei der ersten Befragung im Bundestag hatte die CDU-Wirtschaftsministerin leichtes Spiel – auch weil mehrere gute Nachrichten genau rechtzeitig kamen. Das überdeckte ihre Ungeschicklichkeiten der vergangenen Wochen.

  • E-Autos und Wärmepumpen: Umweltbundesamt fordert sozial gestaffelte Prämien für den Klimaschutz
    Kaufprämien für kleine E-Autos, Sanierungshilfe für alte Gebäude: Das Umweltbundesamt drängt auf gezielte Klimainvestitionen. Alles soll möglichst sozial gerecht und ökologisch wirksam sein.

  • Kiel: Klimaaktivisten bemalen Fregatte der Marine
    Klimaaktivisten sind in einen Marinestützpunkt eingedrungen und haben ein Kriegsschiff der Bundeswehr besprüht. Sie benutzten Kanus, Kajaks und Sprühkreide. Jetzt haben sie Platzverweis bei der Kieler Woche.

  • Kampf gegen Trockenheit in Berlin: »Wir sollten froh sein, wenn das Wasser umsonst von oben kommt« (S+)
    Wenn es trocken ist, gießt Willem Köhn, 59, die Bäume seiner Straße in Berlin-Friedrichshain. Zweimal in der Woche für eine Stunde schleppt er Wasser. Manchmal helfen ihm Touristen.

  • Farbwechsel im Wasser: Die Ozeane an den Polen werden grüner
    Grüneres Grün, blaueres Blau: Die Farbe unserer Ozeane verändert sich laut einer aktuellen Studie. Der Wandel könnte die Tierwelt und die Fischerei weltweit beeinflussen.

Bleiben Sie zuversichtlich!

Ihre Susanne Götze
Redakteurin Wissenschaft

ANZEIGE
desktop mobile timer trk_px
Diese kostenlosen Newsletter bietet DER SPIEGEL an.

Möchten Sie ändern, wie Sie diese E-Mails erhalten?
Sie können Ihre Newsletter verwalten oder sich von dieser Liste abmelden.

E-Mail-Adresse für Anregung und Kritik: newsletter@spiegel.de
© 2025 DER SPIEGEL
 
 
Jetzt laden: Die SPIEGEL-App für iOS und Android
Laden im App Store ­
Jetzt bei Google Play
Folgen Sie uns:
Bei Facebook folgen
  
Facebook
 
Bei Instagram folgen
  
Instagram
 
Bei WhatsApp folgen
  
WhatsApp
 
Bei YouTube folgen
  
YouTube
 
Bei TikTok folgen
  
TikTok
 
­
DER SPIEGEL GmbH & Co. KG
Ericusspitze 1 • 20457 Hamburg
Tel. 040 3007-0
E-Mail:
spiegel@spiegel.de

Komplementärin SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG, Sitz und Registergericht Hamburg HRA 61 755
Komplementärin Rudolf Augstein GmbH, Sitz und Registergericht Hamburg, HRB 13 105
Geschäftsführung: Thomas Hass (Vorsitzender), Stefan Ottlitz
Ericusspitze 1, 20457 Hamburg, Amtsgericht Hamburg, HRA 123 261,
Umsatzsteuer-ID: DE 212 442 423.
Verantwortlicher i. S. v. § 18 Abs. 2 MStV: Dirk Kurbjuweit
­
­
Impressum     Datenschutz     Nutzungsrechte      Nutzungsbedingungen     
Kontakt     Hilfe